Sportwissenschaftler spricht über die Vorteile von Rolfing® für Sportler und Trainierende

Als Sportwissenschaftler, weshalb hast du dich entschlossen Rolfer® zu werden?

Als ich mein Studium in Sportwissenschaften an der Technischen Universität München begonnen habe, begleiteten mich bereits einige der Ideen und Konzepte des Rolfing®. Kurz vor meinem ersten Semester hatte ich bereits meine erste Zehnerserie™ durchlaufen und stand noch immer unter dem Eindruck der Sitzungen. Zum ersten Mal waren mir fasziale Zusammenhänge und Verbindungen in meinen Bewegungen zugänglich. Wie dies zustande kam, konnte ich mir allerdings nicht erklären. Ich war tief berührt und konnte einige dieser Eindrücke sogar in meinen Trainingsalltag integrieren. Mein Studium war fordernd und intensiv, zuvorderst stand jedoch der theoretische Aspekt. Durch die Studienfächer Anatomie, Physiology und weiterer Disziplinen konnte ich mir ein solides Grundverständnis über den menschlichen Körper aneignen. Zusätzlich war ich dankbar um die Literaturempfehlungen meines Rolfer®’s, welche mir halfen ein differenzierteres Bild zu gewinnen. Doch je mehr ich in die Theorie einstieg, desto mehr hatte ich das Gefühl, dass meine Erfahrungen während der Zehnerserie™ und meine folglich veränderte Wahrnehmung des menschlichen Körpers, zunehmend abstrahiert wurde. Ich vermisste einen praktischen, praxisorientierten Ansatz. Rolfing® war das einzige Modell, das mir meine Wahrnehmung von Bewegung auf kohärente Weise erklären konnte. Nach meinem Universitätsabschluss dauerte es noch ein Jahr bis ich mich schließlich dazu entschied meiner Begeisterung für das Rolfing® zu folgen und die Ausbildung zu beginnen.  

Welche Benefits kann Rolfing® Athleten und Menschen die Sport treiben bringen?

Ein jeder unserer Klienten*Innen ist auf seine bzw. ihre Art einzigartig. Mir fällt es daher schwer eine allgemeine Aussage bezüglich  des Nutzen von Rolfing® für Athleten*Innen zu treffen. Aufgrund dessen werde ich bei meinen Ausführungen zwischen Leistungssportlern*Innen und Hobbyathleten*Innen unterscheiden. Da ich ein noch vergleichsweise junger Rolfer® bin, möchte ich hinzufügen, dass meine bisherigen Erfahrungen noch überschaubar sind und es mehr Zeit braucht diese weiter auszuformulieren und in ein nachhaltiges Modell zu überführen.  


Bei Leistungssportlern*Innen sollten zwei wesentliche Aspekte beachtet werden. Der Erste ist die sportspezifische Technik. Dabei handelt es sich um ein komplexes sportspezifisches System motorischer Fertigkeiten zur Lösung sportspezifischer Aufgaben. Diese werden über Jahre hinweg durch hartes Training erworben und verfeinert. Und obgleich sich innerhalb der Athleten*Innen und deren Fertigkeiten ein gewisses Maß an Variabilität zeigt, vor allem unter Weltklasse-Athleten*Innen, der grundsätzliche sportart-bezogenene Bewegungsplan ist gleich. Egal welchen Input wir den Athleten*Innen mitgeben, dieser wird entsprechend den technischen Anforderungen ihres Sports gefiltert werden. Der zweite Aspekt ist Schnelligkeit. Abgesehen von primär Ausdauer-orientierten Sportarten wie dem Marathonlauf, ist die Fähigkeit in der kürzesten Zeit die maximalste Kraft zu erzeugen (einmalig oder wiederholend) einer der Grundpfeiler in fast jeder Sportart und ist integraler Bestandteil eines jeden Athletik-Trainings. Im Wettkampf bedeuten eine verminderte Reaktivität und herabgesetzte Geschwindigkeit einen signifikanten Nachteil.      


Eine meiner ersten Beobachtungen bezüglich der großen Nutzen von Rolfing® für Leistungssportlern*Innen war der rehabilitative Effekt der Sitzungen, die Unterstützung der Regeneration. Nach Wettkämpfen oder in den Erholungszeiten zwischen zwei Trainingsblöcken war es möglich die sympathische Erregung der Sportler*Inn herabzusenken und dem Gewebe eine geschmeidige Qualität wiederzugeben. Weiter konnten sich im Zuge der Sessions kleinere Verletzungen und Bewegungseinschränkungen auflösen. Ein ausreichend regenerierter Athlet*In hat einen besseren Zugriff auf seine Ressourcen, kann folglich härter trainieren und so seine körperliche Leistungsfähigkeit weiter steigern.


Neben dem deutlichen regenerativen Effekt des Rolfings® für Athleten*Innen zeigte sich während meiner bisherigen Arbeit ein weiterer einzigartiger Nutzen. Dieser erschließt sich aus der Integration unserer Klienten*In in der Schwerkraft. Mittels der Öffnung des neurofaszialen Systems erhalten wir einen Zutritt zum Haptischen System unserer Klienten*Innen. Die neugewonnenen Eindrücke aus den Sitzungen können dann mit den sportspezifischen Bewegungsanforderungen der Athleten*Innen koordiniert werden. Feinheiten bzgl. der Wahrnehmung für das eigene Körpergewicht und dessen Ausrichtung im Schwerelot schaffen einen neuen Kontext für Bewegung. Eben jene Feinheiten führten zur weiteren Erforschung dieser in der sportlichen Praxis, generierten koordinative Alternativen und konnten subtile aber nachhaltige Veränderungen in der Bewegungsausführung bewirken. Die besondere Wahrnehmungsfähigkeit von Leistungssportler*Innen für ihren Körper birgt in diesem Zusammenhang ein großes Potenzial. Umso mehr wenn sich die Implementation solcher subtilen Bewegungsalternativen als vorteilhaft im Wettkampf erweist.

Als Rolfer® und Sportwissenschaftler sehe ich eine große Möglichkeit über den Kraftraum/Fitnessstudio die Zusammenführung dieser beiden Welten voranzutreiben. In den Athletikräumen erwerben Athleten*Innen ihre grundsätzlichen körperlichen Leistungsfähigkeiten (v.a. Kraft und Schnelligkeit) und bauen diese weiter aus. Hier wird das Fundament für jede weitere leistungsorientierte Bewegungspraxis gelegt. Und eben hier sehe ich eine vielversprechende Schnittstelle.  


Die klassischen Ansätze des Krafttrainings mögen manch einem einseitig und überholt vorkommen, und dennoch finden sich im Trainingsplan eines jeden Leistungssportlers Übungen wie Kreuzheben, Kniebeuge, Bankdrücken und Klimmzüge. Diese vermeintlich simpel anmutenden Übungen erweisen sich noch immer als äußerst wirkungsvoll wenn es darum geht Kraft und Explosivität aufzubauen. Sie bilden den Ausgangspunkt für jede weitere Übertragung der erworbenen Kraftfähigkeiten in die spezifischen motorischen Anforderungen der jeweiligen Sportart. Als Rolfer® haben wir durch unsere integrative Arbeit nun die Möglichkeit z.B. dem Kreuzheben oder Kniebeugen eine neue sensorische Qualität zu geben. Nachdem mittels des neurofaszialen Systems die Gleitfähigkeit faszialer Strukturen verbessert wird und sich folglich eine veränderte Wahrnehmung für den Körper und seine Bewegungen einstellt, kann es uns gelingen zu einer scheinbar einfachen Übung wie der Kniebeuge eine veränderte koordinative Komponente beizusteuern. Ist sich der Athlet*In seiner Füße bewusst und im Raum orientiert, kann die ökonomische Ausrichtung der eigenen Vertikalen im Schwerefeld dazu beitragen, dass die zusätzliche Last auf seinen/ihren Schultern als leichter empfunden wird. Das motorische Nervensystem kann dann leichter und schneller angesteuert werden, eine kraftvollere und explosivere Bewegungsausführung kann die Folge sein.  


Wenn wir als Rolfer® einen Athleten*In beispielsweise während eines Trainingszyklus zur Verbesserung der Explosivkraft-Fähigkeiten begleiten, müssen auch wir einige unserer bewährten Konzepte und Methoden neu denken. Schaffen wir es uns dieser besonderen Ansprüche eines Leistungssportler*In anzunehmen, haben auch wir die Möglichkeit als Rolfer® unseren Horizont zu erweitern, zu lernen und zu wachsen.  


Hobbyathleten*Innen sind durch ihre sport-spezifische Technik weniger stark determiniert. Die motorischen Anforderungen mögen ähnlich sein, aber das Ausmaß der Beanspruchung ist verglichen mit Leistungssportlern*Innen geringer. Dies lässt sich deutlich an der Trainingslast, dem Trainingsvolumen, der Bewegungsgeschwindigkeit und weiterer leistungsspezifischer Trainingsparameter erkennen. Nichtsdestotrotz bringt Rolfing® auch für Hobbyathleten*Innen viele gleichermaßen bedeutende Benefits mit sich.


So ist auch bei Hobbyathleten*Innen ein rehabilitativer Effekt zu beobachten. Exzessive Spannungen im myofaszialen System können sich lösen und eine schmerzfreie Bewegung wird ermöglicht. Gleichsam wie beim leistungsorientierten Sportler*In trägt eine nachhaltige Regeneration zur schnelleren Wiederaufnahme des Trainings bei.  


Ausgehend von unserer Arbeit mit dem neurofaszialen System unserer Athleten*Innen stellt sich auch bei Hobbyathleten*Innen eine veränderte Wahrnehmung für den eigenen Körper und den Raum ein. Bewegungen (sowohl Initiation als auch Ausführung) können einfacher nachvollzogen werden, die Orientierung im Raum und entsprechend der Schwerkraftachse wird verbessert. Dementsprechend eröffnen sich dem Athleten*In für seine Bewegungen neue koordinative Handlungsoptionen. Nach meiner bisherigen Erfahrung zeigte sich bzgl. der veränderten Wahrnehmung ein deutlicher Unterschied zwischen Leistungssportler*Innen und Hobbysportlern*Innen. Die Empfindungen der Hobbyathleten*Innen waren generalisierter und beinhalteten mehrere Aspekte der individuellen Bewegungspraxis. Wie oben erwähnt, scheinen mir diese weniger stark von den speziellen motorischen Anforderungen ihrer Disziplin determiniert zu sein. Leistungssportler*Innen sind in der Formulierung ihrer Wahrnehmung präziser und stärker auf den spezifischen Kontext ihrer Sportart ausgerichtet. Beide Sportlertypen werden von den Rolfing® Sitzungen gleichermaßen berührt und können die für sie zum jeweiligen Zeitpunkt in ihrem (Sportler-)Leben adäquaten Benefits herausziehen.  


Nachdem die Mitgliedschaften in Fitnessstudios in den letzten Jahren stark zugenommen haben, sehe ich auch hier eine großartige Möglichkeit in eben jener Umgebung des Kraft- und Athletik-Trainings, Hobbyathleten*Innen in der Durchführung und Progression ihrer Sportart nachhaltig zu unterstützen.    
Ich bin mir bewusst, dass einige meiner Aussagen noch empirisch nachgewiesen werden müssen. Des weiteren möchte ich anmerken, dass ich mich in meinen Ausführungen vorwiegend im Rahmen des Sportes und Athletik-Trainings bewegt habe. Die vielfältigen weiteren großen Nutzen unserer Arbeit wurden von so vielen wundervollen Rolfer® Kollegen*Innen bereits ausgeführt. Ich gespannt was die Zukunft bringt und voller Vorfreude über den weiteren Gang unserer Arbeit.  

Autor: Certified Rolfer®, B.Sc. Sportwissenschaft, Lizenzierter Athletik-Trainer, Jakob Reichardt - Deutschland

Bildnachweis: Jakob Reichardt

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