Narben sind das Ergebnis von versehentlicher oder absichtlicher Öffnung der Haut und tieferen Gewebeschichten, die normalerweise der Außenwelt nicht ausgesetzt sind.
Die verbleibenden Linien, die wir nach der Wundheilung auf der Haut sehen, sind bei weitem nicht die ganze Geschichte. Bei dem Versuch, nicht nur die unerwünschte Öffnung des Gewebes zu versiegeln, sorgt die Intelligenz des Organismus dafür, die Haut und das darunter liegende Gewebe schnell und effektiv zu verschließen. So besteht keine Gefahr mehr, der Luft ausgesetzt zu sein oder - noch schlimmer - eine Infektion durch Verunreinigungen oder Krankheitserreger jeglicher Art zu verursachen. Um diesen einmal geöffneten und nun geschlossenen Bereich widerstandsfähig und gefestigt gegen weitere Verletzungen zu machen, hat der Organismus einige Strategien entwickelt, von denen die meisten von Wissenschaft und Forschung noch nicht vollständig ergründet sind. Was wir wissen ist, dass ein Netz aus dichteren und weniger elastischeren Fasern neu gebildet wird (z.B. parallel liegende Collagen Fasern), und dass einige Zellen oder Zellkomplexe, die manchmal sogar Nervenenden, Faszien oder sogar Fettzellen enthalten, während der Wundheilungsphase in den verletzten Bereich hinein gezogen werden. Der Prozess des Aufbaus eines zuverlässigen und widerstandsfähigen Gewebes dauert Wochen oder sogar Jahre an. Der verletzte Bereich wird nun von einem zusammenhängenden Netz von Faszien gestützt, das manchmal von der eigentlichen Verletzung erstaunlich weit entfernt ist.
Das Fasziennetz ist ein endloses Netz, welches in jedem Winkel des menschlichen Körpers allgegenwärtig ist. Stellen Sie sich dieses dreidimensionale Netz gesunder Faszien vor, das auf seine natürliche, chaotische Weise geordnet ist, um alle Arten von einfachen und komplexen Bewegungen zu ermöglichen. Und nun fügen Sie Ihrem inneren Bild Bereiche hinzu, in denen diese Kontinuität verzerrt oder durch dichtere Fasern, einschränkende Knoten und Bündel behindert ist. Es ist nicht schwer zu verstehen, dass jede dieser Unterbrechungen eine Diskontinuität für jeder Bewegung des lebenden Körpers verursacht.
Diese Unterbrechungen mögen klein erscheinen, doch ihre Wirkung wird oft unterschätzt. Die dünne Linie auf der Haut kann darüber hinwegtäuschen, dass der größte Teil des Narbennetzes aus dieser oberflächlichen Perspektive unsichtbar ist.
Mit Narben zu arbeiten ist wie eine andere Sprache in der Welt der Faszien zu sprechen.
Es gibt viele Möglichkeiten Narbengewebe zu behandeln. Meist ist es invasiv oder kämpferisch und der Versuch, das unerwünschte Zeichen auf der Haut und seine Nebenwirkungen zu beseitigen. Es gibt einen Ansatz von einer frühen Studentin von Dr. Rolf: Sharon Wheeler, die ihre eigene Methode mit dem Namen ScarWork begründet hat. Sie würdigt den Versuch des Körpers, den Inhalt zu schützen und zu heilen; sie versucht nicht, das Aussehen der Haut zu verändern, obwohl der kosmetische Effekt oft erfreulich ist. ScarWork befasst sich auf äußerst sanfte, fürsorgliche und tiefgreifende Weise mit den unsichtbaren, aber spürbaren Verklebungen, Einschränkungen, Verkürzungen und Spannungen, die unter der Oberfläche liegen. Dabei kann der Körper als ganzheitliches System direkte und sekundäre Verspannungen und Kompensationsmuster lösen. Das durch den Notfall entstandene Gewebe wird wieder in das endlose, kontinuierliche Netz integriert. Es wird ein Teil davon und wird nicht mehr ausgegrenzt. Der Effekt des Lösens und Integrierens einer Narbe kann, wie beim Rolfing, wesentlich weiter reichen, als eine lokale gewebebezogene manuelle Intervention.
Autorin: Certified Advanced Rolfer®, Rolf Movement™ Practitioner and Dr. Ida Rolf Institute® Europe Faculty Member, Andrea Clusen - Germany
Bildnachweis: Andrea Clusen