Ein Interview mit Certified Rolfer® Markus Rossmann
Markus Rossmann ist Certified Rolfer® und Faszientraining-Experte. Mit einem Hintergrund in Sportwissenschaften und einer Karriere, die von der Arbeit in Reha-Kliniken und auf Kreuzfahrtschiffen bis hin zu internationalen Coachings reicht, hat er Rolfing® Strukturelle Integration und Faszientraining auf innovative Weise kombiniert.
In diesem Interview gibt er Einblicke in seinen beruflichen Werdegang, die Faszination der Rolfing-Methode und die Entwicklung eigener Ansätze wie „Fascial Walk“ und „Behandeln in Bewegung“. Außerdem spricht er über die Zukunft der Faszienforschung und gibt wertvolle Tipps für angehende Rolfer.
Erfahren Sie, wie Rolfing Strukturelle Integration nicht nur die körperliche Struktur, sondern auch das Leben von Menschen verändern kann, und lassen Sie sich von Markus Rossmann inspirieren.
Was hat deinen Weg zum Rolfer® und Fazientrainer geprägt?
Nach meinem Studium der Sportwissenschaften mit dem Schwerpunkt Prävention und Rehabilitation hatte ich den Wunsch, zusätzlich etwas Praktisches, etwas „Hands-On“-Orientiertes zu lernen. Eine klassische Ausbildung zum Physiotherapeuten war für mich allerdings nicht das Richtige. Dann stieß ich – durch einen glücklichen Zufall – auf Rolfing Strukturelle Integration. Meine Frau hatte schon länger Probleme mit der Wirbelsäule und bekam einen Gutschein für eine Rolfing-Sitzung bei Herbert Battisti geschenkt. Nach dieser Sitzung erzählte sie mir begeistert, dass er fast ausschließlich an ihren Füßen gearbeitet habe – und plötzlich waren ihre Rückenschmerzen verschwunden. Das hat mich so sehr fasziniert, dass ich selbst eine Rolfing-Sitzung ausprobiert habe. Es war Liebe auf den ersten Blick – oder besser gesagt: auf die erste Berührung. Der Ansatz von Ida Rolf und ihre Arbeit haben mich von diesem Moment an nicht mehr losgelassen.
Rolfing bildet die Basis meines gesamten beruflichen Werdegangs. Ohne diese Ausbildung wäre ich heute nicht da, wo ich bin. Die besondere Berührungsqualität und die ganzheitliche Arbeit, mit der man Menschen körperlich wie auch psychisch fördern kann, sind für mich bis heute einzigartig. Ich hatte das große Glück, von renommierten Rolfern wie Dr. Robert Schleip, Christoph Sommer, Harvey Burns und Herbert Battisti lernen zu dürfen. Ein besonderer Segen war und ist für mich die langjährige Zusammenarbeit mit Herbert Battisti, der mir bis heute als Mentor zur Seite steht.
Auch für meine Arbeit im Bereich Sport und Bewegung brachte Rolfing völlig neue Impulse, die ich in meinem Sportstudium so nicht hätte finden können. Besonders prägend war für mich die Teilnahme an der Movement-Ausbildung von Hubert Godard, die meine Perspektive auf Bewegung nachhaltig verändert hat.
Schließlich war es eine glückliche Fügung, dass ich zur richtigen Zeit auf Dr. Robert Schleip traf. Seine bahnbrechenden Erkenntnisse über Faszien führten nicht nur zu neuen Behandlungsmethoden, sondern auch zu einer völlig neuen Form des Bewegungstrainings – dem Faszientraining, das ich gemeinsam mit ihm und anderen Kolleginnen und Kollegen entwickeln durfte. Dieses Konzept hat mir Türen in die ganze Welt geöffnet und meine Karriere entscheidend geprägt.
Was macht Rolfing® so faszinierend, und welche beruflichen Chancen eröffnet dir die Faszienforschung?
Rolfing ist für mich weit mehr als die Behandlung einer einzelnen Struktur im Körper. Es hat mich gelehrt, mit meiner Berührungsqualität den Körper ganzheitlich zu erforschen: Ich nehme die Informationen auf, die mir der Körper meines Gegenübers vermittelt, und gebe durch meine Behandlung die bestmögliche Rückmeldung, damit der Körper sich selbst helfen und heilen kann. Was mich dabei jedes Mal aufs Neue fasziniert, sind die tiefgreifenden Auswirkungen, die diese Arbeit auf den gesamten Körper – und letztlich auf den ganzen Menschen – haben kann.
Während der Behandlung achten wir Rolfer nicht nur auf die Struktur, die wir gerade berühren, sondern behalten den gesamten Körper im Blick.
Dieser ganzheitliche Ansatz, das sogenannte „Body Reading“ und die vollständige Aufmerksamkeit auf den Menschen als Ganzes, ist etwas, das Rolfing einzigartig macht.
Da ich ursprünglich aus dem Sport komme, war es für mich selbstverständlich, diese Prinzipien auch auf Bewegungstrainings zu übertragen. Die Kombination aus meinem Wissen über Sportwissenschaften, meiner Ausbildung im Rolfing und meiner Leidenschaft für die Faszienforschung hat es mir ermöglicht, innovative Bewegungsprogramme zu entwickeln. Diese Programme basieren darauf, den Körper in seiner Ganzheit zu stärken und nachhaltig gesund zu halten. Das hat mir nicht nur neue berufliche Perspektiven eröffnet, sondern auch die Möglichkeit gegeben, Menschen weltweit zu unterstützen.
Du hast Konzepte wie „Fascial Walk“ und „Behandeln in Bewegung“ entwickelt. Wie können diese Ansätze Menschen helfen?
„Fascial Walk“ ist das beste, einfachste und gesündeste Ganzkörpertraining, das man in den Alltag integrieren kann. Warum? Gehen ist eine Bewegung, die wir jeden Tag ausführen. Wenn wir allerdings falsch gehen – und das tun laut meiner Erfahrung rund 90% der Menschen in Deutschland – geben wir unserem Körper täglich ungesunde Impulse. Doch richtiges Gehen kann unglaublich viel Positives für die Gesundheit bewirken.
Meine provokante Frage lautet daher: Hast du dir jemals Gedanken darüber gemacht, ob du richtig gehst? Die meisten Menschen tun das nicht, obwohl es so einfach ist, richtiges Gehen zu lernen. Genau hier setzt der „Fascial Walk“ an: Es handelt sich um eine Technik, die ich entwickelt habe, um Menschen beizubringen, bewusst und gesund zu gehen. Ich habe darüber ein Buch geschrieben, zahlreiche Kurse gegeben und arbeite auch in meiner Klinik mit psychosomatischen Patienten an dieser Methode. Die Rückmeldungen sind durchweg positiv – viele berichten, wie einfach es zu erlernen ist und welche nachhaltigen Effekte es auf Körper und Geist hat. Ohne meine Rolfing-Ausbildung wäre dieses Konzept niemals entstanden.
„Behandeln in Bewegung“ ist aus meiner eigenen Erfahrung heraus entstanden. Zu Beginn meiner Karriere arbeitete ich ausschließlich mit Bewegung, war aber mit den Ergebnissen nicht zufrieden. Später konzentrierte ich mich nur auf die Behandlung, aber auch hier blieben die Resultate hinter meinen Erwartungen zurück. Erst als ich begann, Behandlung und Bewegung zu kombinieren, merkte ich, dass ich damit viel bessere Ergebnisse erzielte.
Doch mir wurde klar: Nachhaltige Gesundheit entsteht nur, wenn Menschen sich im Alltag bewusst und richtig bewegen – und zusätzlich ein paar einfache Übungen in ihren Tagesablauf integrieren. Ich bin fest davon überzeugt, dass 10 Minuten gezieltes Üben pro Tag, kombiniert mit bewusster Alltagsbewegung, orthopädische Probleme und Schmerzen langfristig fernhalten können.
Hier spielt das Wissen über Faszien eine zentrale Rolle. Faszien sind voller Rezeptoren für die Körperwahrnehmung. Wenn ich diese Strukturen während funktioneller Bewegungen behandle, fördere ich gleichzeitig die Bewegungswahrnehmung, die Ausführung und das Bewegungsgedächtnis. Ganz einfach gesagt: Wenn ich die Bewegungsqualität meiner Patienten verbessern möchte, erreiche ich das viel effektiver, indem ich sie die Bewegung ausführen lasse und sie dabei mit Berührungen unterstütze – statt ihnen die Bewegung nur verbal zu erklären. Fühlen ist oft wirkungsvoller als Hören. Und die Kombination aus beidem ist unschlagbar.
Diese Methode hat mir nicht nur geholfen, meine Patienten besser zu unterstützen, sondern auch meine eigene Gesundheit als Therapeut zu bewahren. Durch das Behandeln in Bewegung kann ich meinen Körper schonen und gleichzeitig bessere Ergebnisse für meine Patienten erzielen.
Welche Chancen bietet Rolfing, und welche Tipps hast du für neue Rolfer?
Rolfing ist und bleibt eine einzigartige Methode der Körperarbeit, die sich deutlich von anderen Körpertherapien – insbesondere der klassischen Physiotherapie – abhebt.
Das erlebe ich jeden Tag in meiner Arbeit in der Klinik mit frisch operierten Patienten. Sie erhalten dort täglich Physiotherapie, die ihnen natürlich hilft. Doch nach nur einer Rolfing-Behandlung möchten viele, wenn möglich, nur noch zu mir kommen. Die Ergebnisse sind für sie einfach spürbar anders.
Ob Rolfing eines Tages so bekannt wie Osteopathie werden wird, kann ich nicht sagen. Aber ich bin überzeugt, dass wir uns nicht verstecken müssen. In der Zukunft sehe ich sogar die Möglichkeit, dass Rolfer vermehrt auch als Festangestellte in Kliniken arbeiten können. Die Qualität und Effektivität dieser Methode spricht für sich und wird zunehmend wahrgenommen.
Für frisch zertifizierte Rolfer, die ihre Karriere starten und den Weg in die Selbstständigkeit wagen, habe ich drei zentrale Ratschläge:
- Durchhalten!
Der Aufbau eines festen Klientenstamms ist gerade am Anfang eine Herausforderung. Aber wenn man dranbleibt und die Qualität seiner Arbeit für sich sprechen lässt, wird sich der Erfolg einstellen. - Weiterbildung und Neugierde bewahren.
Es ist essenziell, sich kontinuierlich weiterzubilden, den Blick über den Tellerrand hinaus zu richten und insbesondere die Faszienwissenschaft nicht aus den Augen zu verlieren. Die Entwicklung in der Faszienwissenschaft ist momentan rasend schnell, was bedeutet, dass sowohl Bewegungsansätze als auch Behandlungstechniken ständig weiterentwickelt werden müssen. Es ist wichtig, dass diese Fortschritte kontinuierlich auch in der Rolfing-Ausbildung berücksichtigt werden. - Einen eigenen Stil entwickeln.
Rolfing lebt von der Individualität. Es begeistert mich immer wieder, wie unterschiedlich die Ansätze und Behandlungsstile meiner Rolfing-Kolleginnen und -Kollegen sind. Jeder bringt seine eigene Kreativität und Perspektive ein. Wenn man offen bleibt, hört das kreative Lernen und Weiterentwickeln nie auf – und genau das macht unsere Arbeit so besonders.
Wie siehst du die Entwicklung der Faszienarbeit, und welche Rolle spielt Rolfing in der Zukunft?
Die Entwicklung der Faszienarbeit erinnert mich an Galileo Galilei: Er bewies wissenschaftlich, dass die Erde die Sonne umkreist, doch es dauerte rund 50 Jahre, bis diese Tatsache in der Wissenschaft allgemein anerkannt wurde. Ähnlich verhält es sich mit dem Wissen über Faszien.
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse sind erdrückend und zeigen deutlich, dass Faszienarbeit ein essenzieller Bestandteil jeder körpertherapeutischen Arbeit sein sollte.
Aber viele tun sich schwer damit, alte Gewohnheiten und jahrzehntelange Routinen zu hinterfragen.
Meine Prognose ist klar: Mittelfristig wird kein Therapeut mehr ohne fundierte Faszienarbeit auskommen können – einfach, weil die Ergebnisse so viel besser sind. Doch mit „Faszienarbeit“ meine ich nicht ein Wochenende hier oder einen kurzen Workshop dort, sondern eine wirklich fundierte Ausbildung, wie sie beispielsweise im Rolfing angeboten wird. Leider gibt es immer noch viele Therapeuten, die sich „Faszien-Therapeuten“ nennen, ohne ein tieferes Verständnis von Faszienanatomie oder deren funktionellen Zusammenhängen zu haben. Das Thema wird häufig unterschätzt, und ein umfassendes Verständnis erfordert Zeit und intensive Auseinandersetzung.
Rolfer haben den Vorteil, dass ihre Ausbildung besonders fundiert ist und sie einen einzigartigen Blick auf körperliche Probleme mitbringen.
Dieser Blick eröffnet neue Wege, die in der klassischen Rehabilitation oder Prävention oft fehlen. Rehakliniken beginnen langsam zu erkennen, dass alte Therapieansätze überdacht und durch innovative Methoden wie Rolfing ergänzt werden müssen.
In der Zukunft sehe ich eine wichtige Rolle für Rolfer in Rehakliniken und anderen medizinischen Institutionen. Es wird nicht nur möglich sein, sondern notwendig, dass Rolfer in solchen Einrichtungen arbeiten und die Therapieansätze aktiv mitgestalten. Nur so können wir sicherstellen, dass Rolfing und die Bedeutung der Faszienarbeit in der breiten Öffentlichkeit bekannter werden und einen festen Platz in der Gesundheitsprävention und Rehabilitation erhalten.
Interviewpartner: Markus Rossmann, Certified Rolfer®, Faszien- und Gesundheitsexperte
Interview und Bearbeitung: Sabine Becker
Foto: Copyright © Bicom and Markus Rossmann private
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