Im Kontakt mit der Stille – Wie Rolfing® Strukturelle Integration meine Tai-Chi-Praxis vertieft hat

Ein Interview mit Maya-Matthea van Staden, Tai-Chi- Ch’uan Lehrerin und Rolfing® Studentin, Delft, Niederlande 

 

Einleitung 

Was verbindet eine traditionelle chinesische Bewegungskunst wie Tai Chi Ch’uan mit Rolfing® Struktureller Integration?  

Auf den ersten Blick scheinen die beiden Methoden aus ganz unterschiedlichen Welten zu stammen – die eine eine jahrhundertealte Bewegungspraxis, die andere ein tief fundierter Ansatz zur strukturellen und wahrnehmungsbezogenen Integration des Körpers. Und doch teilen beide eine ähnliche Neugier: Wie steht der Mensch in Beziehung zu Schwerkraft, Raum und Bewegung? 
 
Während Tai Chi Ch’uan das Bewusstsein durch präzise, fließende Bewegungen schult, arbeitet Rolfing Strukturelle Integration auf einer grundlegenderen Ebene – durch Touch, Bewegung und strukturelle Neuordnung – um den Körper im Schwerkraftfeld auszurichten und seine natürliche Fähigkeit zu Leichtigkeit und Balance zu unterstützen. Wo Tai Chi Ch’uan Harmonie ausdrückt, schafft Rolfing die physische und wahrnehmende Grundlage, auf der diese Harmonie entstehen kann. 

Immer mehr Bewegungspädagogen und manuelle Therapeuten entdecken, wie die Rolfing®-Ausbildung ihre Praxis vertiefen kann – indem sie Körperbewusstsein stärkt, Lehrpräsenz verfeinert und neue berufliche Perspektiven eröffnet. 
 
Maya-Matthea van StadenTai-Chi-Lehrerin aus Delft (Niederlande) und Studentin am Dr. Ida Rolf Institute® Europe, hat diese Verbindung aus eigener Erfahrung erlebt. In diesem Interview erzählt sie, wie die Rolfing-Ausbildung ihre Sicht auf Bewegung, Unterricht und verkörperte Präsenz verändert hat. 

Ihre Erfahrungen bieten wertvolle Einblicke für alle, die neugierig sind, wie Rolfing Strukturelle Integration sowohl die persönliche Praxis als auch die berufliche Entwicklung bereichern kann – und zeigen, dass ihre Prinzipien weit über eine einzelne Disziplin hinausreichen. 

 

Maya, was hat dich ursprünglich zu Rolfing® Struktureller Integration und zur Ausbildung geführt? 

Meine erste Rolfing® Sitzung hatte ich mit 15 Jahren, aber die Entscheidung, wirklich tiefer einzusteigen, kam erst viel später. Nach Jahren des Studiums von Musik und Tanz im Zusammenhang mit Anthropologie, nach Reisen, dem Aufbau eines eigenen Unternehmens und dem Unterrichten, kam ich zurück in die Niederlande – und lief zufällig an einer Rolfing® Praxis vorbei. Ich erkannte das Logo – es kam mir vertraut vor und weckte eine stille Neugier. Ich buchte eine Sitzung, ohne ein klares Ziel, einfach, weil es sich natürlich anfühlte, dahin zurückzukehren. 
 
Die Rolfing-Sitzung war zugleich dynamisch und ruhig. Zu dieser Zeit hatte ich dank meiner Tai-Chi-Ch’uan-Praxis keine chronischen rheumatologischen Schmerzen mehr – doch ich war immer noch übervorsichtig, konnte keinen Tag im Training auslassen, ohne dass die Beschwerden zurückkehrten.  

Was mich beeindruckte, war, dass die Rolfing-Sitzung Bewusstheit einlud, statt Leistung zu verlangen. Das entsprach sehr meiner Erfahrung im Tai Chi Ch’uan – dem, was ist, zu begegnen, ohne ein Bild erfüllen zu wollen. Da war ein Gefühl, wirklich gesehen und gehalten zu werden – nicht nur über Technik. Das war sehr inspirierend. Mit der Zeit, nachdem ich die komplette Zehner-Serie erhalten hatte, erlebte ich mehr Leichtigkeit und Spontaneität in meiner Bewegung. 

 

Du hast eine tiefe Verbindung zu Tai Chi Ch’uan. Wie hat Rolfing® Strukturelle Integration deine Praxis und dein Körperbewusstsein beeinflusst? 

Ich habe festgestellt, dass Rolfing meine Tai-Chi-Praxis auf tiefgehende Weise ergänzt. Beide Ansätze beziehen sich auf die Entwicklung des Menschen – von der Fortbewegung auf allen Vieren hin zum aufrechten Gang, ähnlich wie ein Kind laufen lernt. Diese Veränderung beeinflusst, wie sich das Zwerchfell bewegt und wie der Körper mit der Schwerkraft umgeht, und erfordert Anpassungsfähigkeit in der aufrechten Haltung – mit einer bewussten Wahrnehmung von Himmel und Erde. 
 
Beide Disziplinen nutzen Bilder eines energetischen Auftriebs, der von den Füßen durch einen organisierten, anpassungsfähigen Körper nach oben fließt. Im Tai Chi Ch’uan wird der „sprudelnde Quell“ und die Rolle des großen Zehs in Verbindung mit dem Zwerchfell betont – ähnlich wie im Rolfing, wo der Auftrieb und das Abdrücken des großen Zehs beim Gehen erforscht werden. 
 
Während Tai Chi Ch’uan Schwerkraft, Struktur und Energie über das Wechselspiel von Yin und Yang ausdrückt – kein Vorne ohne Hinten – und Präsenz durch geübte Bewegung, Partnerübungen und Geschichten kultiviert, arbeitet Rolfing mit vergleichbaren Prinzipien auf einer sehr persönlichen Ebene: durch Berührung, Wahrnehmung und die Arbeit an sogenannten palintonischen Beziehungen – also dem dynamischen Gleichgewicht gegensätzlicher Spannungen im Körper.  

Dies erweitert meinen Blick auf das Unterrichten, hilft mir, besser mit persönlichen Grenzen umzugehen, und verfeinert kontinuierlich meine eigene Körperwahrnehmung, wodurch mir immer wieder „blinde Flecken“ bewusst werden. 
 
Ein Moment bleibt mir besonders im Gedächtnis: Miquel – „mein“ Rolfer® – legte während einer Sitzung seine Hand auf meinen Rücken und fragte: „Unterrichtest du von hier aus?“ Zuerst verstand ich nicht, was er meinte. Doch später im Unterricht spürte ich genau diesen Punkt. Etwas in mir wurde weicher, meine Haltung öffnete sich, ich war präsenter und weniger mit meinem Programm oder Plan beschäftigt. 

 

Wie zeigt sich Raum durch den Körper – und wie helfen Rolfing® und Tai Chi Ch’uan, diese Beziehung zu erleben? 

Raum ist für mich nicht nur etwas Äußeres – er ist eine verkörperte Erfahrung, die sich aus dem fortlaufenden Dialog von Körper und Gehirn mit der Welt bildet. Raum ist lebendige Geschichte – eingewoben in unsere Art, wahrzunehmen, uns zu bewegen und in Beziehung zu treten zu dem, was uns umgibt, und wie es in unser System integriert ist. 
 
Unsere Körper tragen diese Geschichte in sich, und jeder Moment – ob vertraut oder neu – formt, wie sich Raum uns zeigt. Raum ist fließend, dynamisch und zutiefst spürbar. Durch Übung beginnen wir wahrzunehmen, wie unsere Raumwahrnehmung Haltung, Atem und Intention beeinflusst. In diesem Zusammenspiel von innerer und äußerer Welt entsteht ein Körperbewusstsein, das mehr ist als reine Anpassung: Es eröffnet neue Möglichkeiten, sich zu bewegen und zu leben. 
 
Wenn ich den Körper auf diese Weise betrachte, habe ich manchmal das Gefühl, nicht nur aus Materie zu bestehen, sondern vielmehr aus dem Unfassbaren, das Raum überhaupt erst möglich macht – was wiederum einen anpassungsfähigen, lebendigen Körper erfordert, um ihm zu begegnen. 
 
Sowohl Rolfing Strukturelle Integration als auch Tai Chi Ch’uan beschäftigen sich intensiv mit dieser Erfahrung – durch Berührung, Atmung, Bewusstheit für innere Räume und die Orientierung im Außen, im Aufnehmen, Wahrnehmen und Wirken. 

 

Wie hat Rolfing® beeinflusst, wie du Tai Chi Ch’uan unterrichtest? 

Vielleicht bin ich weniger technisch geworden – obwohl ich spielerisches Arbeiten schon immer mochte. Aber heute geht es mir im Unterrichten weniger um mich, sondern mehr darum, was für andere wirklich wesentlich ist. Der Gedanke, Raum zu geben, ist dabei zentral geworden – leise, aber beständig. 
 
Unterrichten ist für mich zu einer Form des Zuhörens geworden – nicht nur auf Worte, sondern auf Atmosphäre, Timing, die gesamte Situation, und auch auf das, was in mir selbst geschieht. Diese Veränderung beeinflusst, wie ich berühre, wie ich in Beziehung trete und wie ich spreche. 
 
Ich bin – oder möchte zumindest sein – wacher für die Suche meiner Schüler nach Balance und nach einer Anstrengung, die die Leichtigkeit nicht überdeckt. Ich vermittle Prinzipien heute stärker über den Körper, nicht nur über Sprache. Und manchmal trete ich einen Schritt zurück – nicht, um mich zu entziehen, sondern um Raum zu geben. Ich bleibe präsent, nur weniger lenkend. Dieser Raum ermöglicht es den Schülern, sich selbst zu orientieren. 

 

Was können Bewegungspädagogen oder Tai Chi Ch’uan Lehrer durch die Rolfing® Ausbildung gewinnen? Würdest du sie empfehlen? 

Unbedingt. Mit einem Hintergrund in Bewegung empfinde ich es als große Bereicherung, mit Menschen aus unterschiedlichsten Disziplinen zu lernen – alle mit ihren eigenen Konzepten und auf der Suche nach neuen Perspektiven. 
 
Rolfing Strukturelle Integration eröffnet einen frischen Blick auf Bewegung, indem es sie aus der Perspektive des Alltags betrachtet – dieser Alltag hat seine eigene Virtuosität. Wenn Menschen dort mehr Leichtigkeit finden, fällt es ihnen leichter, Tanz, Yoga, Tai Chi Ch’uan oder andere Praktiken zu erlernen. 
 
Als Lehrer geben wir immer etwas weiter, oft ohne es zu merken. Rolfing hilft, sich dessen bewusst zu werden. Dieses Bewusstsein kann herausfordernd sein, aber es macht das Unterrichten lebendiger und authentischer. Und wenn die eigene Arbeit Berührung einschließt, ist es wesentlich, wirklich zu verstehen, wie Berührung im eigenen Körper funktioniert. 
 
Was mich an Rolfing Stuktureller Integration besonders fasziniert, ist die Ehrlichkeit körperlicher Kommunikation. Der Rolfing-Touch kann zeigen, wie jemand seinen Körper wahrnimmt und bewohnt – und ermöglicht so einen Dialog, der in Präsenz gegründet ist. Einen Raum zu schaffen, in dem verkörperte Reflexion möglich ist – klar und zugleich einfühlsam – ist ein wertvoller Teil dieser Arbeit. Menschen kommen aus vielen, oft sehr persönlichen Gründen zu einer Sitzung; sie suchen bereits nach Verbindung in ihrem Körper und ihrem Sein. Es ist ein Privileg, diesen Weg mit ihnen zu gehen. 

 

Fazit 

Mayas Erfahrungen zeigen, dass Rolfing® Strukturelle Integration weit über die Verfeinerung von Bewegung hinausgeht: Sie ordnet die zugrunde liegende Struktur und Wahrnehmung des Körpers neu – und schafft damit die Voraussetzungen, dass Balance, Präsenz und Fluss natürlich entstehen können. 

Sowohl Tai Chi Ch’uan als auch Rolfing® Strukturelle Integration vertiefen die Beziehung zum eigenen Körper und zur Wahrnehmung – allerdings aus unterschiedlichen Richtungen. Tai Chi Ch’uan schärft das Gespür und den Fluss durch achtsame Bewegung und energetische Berührung, während Rolfing® Strukturelle Integration von innen heraus arbeitet: über Berührung, Wahrnehmung und angeleitete Bewegung, um eine besser organisierte Beziehung zur Schwerkraft und zu sich selbst zu unterstützen. 

Diese tiefere körperliche Organisation bereichert nicht nur jede Form der Bewegungspraxis, sondern prägt auch, wie wir Raum einnehmen, mit anderen in Kontakt treten und unseren Alltag erleben. 

Wenn du als Bewegungsexperte oder manueller Therapeut neugierig bist, wie die Rolfing® Ausbildung deine Lehrpraxis und deinen beruflichen Weg bereichern kann, informiere dich über die zertifizierten Ausbildungsprogramme am Dr. Ida Rolf Institute® Europe. 

Entdecke, wie Rolfing Strukturelle Integration helfen kann, Körperbewusstsein zu vertiefen, Bewegung zu verfeinern und neue Fähigkeiten zu entwickeln, die Leichtigkeit, Balance und Verbindung fördern. Erfahre mehr über die Ausbildung zum Certified Rolfer®

 

Quelle: Dieses Interview ist eine gekürzte Fassung von Mayas Originalartikel „How Rolfing® Structural Integration Training has Changed my Tai Chi Ch’uan Teaching and Practice“, der in voller Länge auf ihrer Website verfügbar ist. LINK zur Vollversion.


Interviewpartnerin: Maya-Matthea van Staden, Tai Chi Ch’uan Lehrerin and Rolfing® Studentin, Delft, Niederlande 
Interview und Redaktion: Sabine Becker 

Fotos: Copyright © Maya-Matthea van Staden, Fotografin Monika Novkovik 

Maya-Matthea van Stadens Website.


FAQ – Häufige Fragen zu Rolfing® Struktureller Integration 

Was ist Rolfing® Strukturelle Integration? 

Rolfing® Strukturelle Integration ist eine wissenschaftlich fundierte Methode der Körperarbeit, die durch spezielle Griffe (“Rolfing Touch”) und Bewegungsschulung den Körper im Schwerkraftfeld neu ausrichtet. Sie kann helfen, Haltung, Koordination und Körperwahrnehmung zu verbessern, indem sie die fasziale Struktur neu organisiert. 

Wie hängt Rolfing® mit Tai Chi Ch’uan zusammen? 

Sowohl Tai Chi Ch’uan als auch Rolfing® erforschen, wie der Körper mit Schwerkraft, Bewegung und Raum in Beziehung steht. Während Tai Chi Ch’uan Bewusstsein durch Bewegung schult, arbeitet Rolfing® zusätzlich über Touch und strukturelle Integration und schafft so die Grundlage für Balance und Leichtigkeit. 

Was können Bewegungs- oder Tanzpädagogen durch die Rolfing® Ausbildung gewinnen? 

Die Rolfing Ausbildung eröffnet einen komplett neuen Blick auf Bewegung und Körperorganisation. Sie zeigt, wie Struktur, Wahrnehmung und Bewegung im Zusammenspiel mit der Schwerkraft entstehen und sich in Beziehung zu Raum und anderen entfalten. 
Wer sich darauf einlässt, entwickelt ein feineres Gespür für Ausrichtung, Präsenz und Verbindung – im eigenen Körper wie im Kontakt mit anderen. 
Für Bewegungs- und Tanzpädagogen bedeutet das: Rolfing® Strukturelle Integration verändert die Perspektive auf Bewegung selbst – von der äußeren Form hin zu einem tieferen Verständnis für die innere Ordnung, aus der Leichtigkeit und Ausdruck entstehen. 

Wo kann man Rolfing® Strukturelle Integration in Europa studieren? 

Das Dr. Ida Rolf Institute® Europe in München bietet zertifizierte Ausbildungsprogramme in Rolfing Struktureller Integration für Körperarbeitende und Bewegungsprofis an. Mehr erfahren. 

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Die Inhalte dieses Blogartikels dienen ausschließlich der allgemeinen Information über Rolfing® Strukturelle Integration. Sie ersetzen keine medizinische Beratung, Diagnose oder Behandlung. Für gesundheitliche Anliegen wenden Sie sich bitte an qualifiziertes medizinisches Fachpersonal. Rolfing® und Rolfer® sind eingetragene Marken des Dr. Ida Rolf Institute® und seiner Partnerorganisationen. Ergebnisse und Erfahrungen mit Rolfing® können individuell variieren. Die Autoren übernehmen keine Haftung für Schäden oder Verluste, die durch die Anwendung der hier beschriebenen Inhalte entstehen.